mercredi 19 novembre 2008

Wie Nestlé dem Heks das Wasser abgräbt

Wie Nestlé dem Heks das Wasser abgräbt

von Thomas Pressmann im 20 Minuten

Nestlé soll einen Gegner der Wasserprivatisierung in Brasilien bespitzelt haben. Irritierend ist dabei, dass der Chef von Nestlé Schweiz im Stiftungsrat des Heks sitzt. Denn wogegen kämpft das Hilfswerk? - Genau: Gegen die Wasserprivatisierung. Jetzt bleiben die Spenden aus.


Umstrittener Heks-Stiftungsrat: Nestlé Chef Schweiz, Roland Decorvet. (Bild: Keystone)

Eine Mitarbeiterin der Sicherheitsfirma Securitas bespitzelte offenbar während zwei Jahren Globalisierungskritiker aus dem Raum Genf. Dies geschah im Auftrag des Nahrungsmittelriesen Nestlé, wie das Westschweizer Fernsehen berichtete. 
Nun wird bekannt, dass zu den Spionage-Opfern auch der Brasilianer Franklin Frederick gehört. Er setzte sich mit der Unterstützung von reformierten Kirchen in der Schweiz für freien Wasserzugang in Brasilien ein und bekämpft somit Projekte von Nestlé, welche beabsichtigen, das Wasser von dortigen Quellen zu privatisieren und zu vermarkten.

Durch die Spionage soll Nestlé beispielsweise gewusst haben, dass der Wasseraktivist Frederick am Open Forum in Davos 2004, der Gegenveranstaltung zum WEF, teilnehmen wird, berichtet der «Tages-Anzeiger» heute. Eine Strafuntersuchung der Behörden läuft und soll bis Ende Jahr abgeschlossen werden.

Nestlé-Chef engagiert sich im christlichen Hilfswerk – geht das?

Kritik an Nestlé und dessen Führungsperson in der Schweiz, Roland Decorvet, gibt es aber nicht nur wegen der Spionageaffäre - Decorvet selbst war während der Bespitzelungen vor drei Jahren noch gar nicht in der obersten Führungsetage von Nestlé Schweiz, erst seit diesem Jahr ist er Chef. Nun wurde er aber neben seiner Tätigkeit bei Nestlé in den Stiftungsrat des evangelischen Hilfswerks Heks gewählt – unter lautem Protest.

Obwohl der Schweizerische Kirchenbund den Generaldirektor des Nahrungsmittelriesen in die Leitung des Heks wählte, können Kirchenleute diese Entscheidung nicht verstehen. «Nestlé hat in wichtigen Fragen eine der unsrigen total entgegengesetzte Meinung», sagt Andrea Kindler Broder, Pfarrerin an der Heiliggeistkirche in Bern.

Erste Spender springen ab

Gerade beim Thema Wasser: Bei vielen Projekten untergrabe Nestlé die Bemühungen der Hilfswerke und sei eher Gegner denn Partner. «Wie kann Herr Decorvet diese Doppelfunktion unter einen Hut bringen?», fragt sie und spricht das an, was viele Kirchenvertreter denken: Nestlé und Hilfswerk zusammen, das gehe nicht. Auch Dieter Sollberger, Pfarrer von Horgen ZH, kann diese Wahl nicht verstehen. «Ich bin erstaunt und irritiert». Er könne die Wahl vor seinen Kirchenmitglieder nicht vertreten, bestätigt er einen Artikel der Zeitung «Reformiert».

Ehemals treue Spender verzichten nun darauf, das Heks weiter finanziell zu unterstützen, bestätigt der Direktor des Heks, Ueli Locher, auf Anfrage von 20 MinutenOnline. Zudem habe er «zahlreiche» Gespräche mit Kirchenvertretern und Gremien führen müssen. An der Person Decorvet als Stiftungsrat will man aber festhalten.

Kritiker seien «extrem links»

Der Nestlé-Schweiz-Chef will auf Anfrage von 20 Minuten Online keine Stellung nehmen, provoziert dafür die Kirchenvertreter weiter. Seine Kritiker seien «extrem links» und machten «viel Lärm», erklärte er in einem Interview mit der Zeitung «Reformierte Presse». «Diese Verallgemeinerungen ärgern mich sehr», sagt Pia Grossholz, Vizepräsidentin der reformierten Kirchen Bern Jura Solothurn, «denn sie stimmen nicht».

Aller Kritik an ihrem Stiftungsrat zum Trotz setzt das Heks weiter auf den Nestlé-Schweiz-Chef. Man wolle aber den Dialog mit den verärgerten Spendern und Kirchenvertretern weiterführen, sagt Heks-Direktor Ueli Locher.

mardi 18 novembre 2008

Nestlé – „die beste Entwicklungsorganisation“

Nestlé – „die beste Entwicklungsorganisation“

 
Roland Decorvet
Vermisst bei den Kirchen Toleranz: Nestlé-Direktor Roland Decorvet.
„Wo bleibt die Toleranz gegenüber Industriellen?“ Das fragt der Nestlé-Direktor Roland Decorvet, der im Juni in den Stiftungsrat des Hilfswerks Heks gewählt wurde. „Gewisse Leute glauben nicht, dass auch Nestlé-Mitarbeiter Gutes tun können.“

Die reformierten Kirchen seien zunehmend tolerant gegenüber Andersgläubigen oder Homosexuellen. Aber wenn ein Nestlé-Direktor sich im Hilfswerk engagieren wolle, sperrten sie sich mit Vorurteilen dagegen, sagte Decorvet Anfang November der Reformierten Presse (RP). Die Wahl des Waadtländers, der als Missionarssohn in Afrika aufwuchs und 17 Jahre für Nestlé in Asien arbeitete, ist bei Vertretern der kirchlichen Entwicklungsarbeit auf scharfe Kritik gestossen.

„Diametraler“ Gegensatz
Sie stellen sich auf den Standpunkt, nicht Decorvets Person, aber seine Funktion als Generaldirektor von Nestlé Schweiz sei problematisch: Denn die Interessen des Nahrungsmittelmultis stünden „grundsätzlich dem Auftrag des kirchlichen Hilfswerks diametral gegenüber: Die neue Heks-Kampagne propagiert die Entwicklung ländlicher Dorfgemeinschaften – Nestlé macht Geschäfte mit der Privatisierung von Wasser“ (Zuschrift der reformierten Beauftragten für Mission und Entwicklung in der RP 45/2008).

„Milch von 150‘000 pakistanischen Bauern“
Decorvet bezeichnet Nestlé als „die beste Entwicklungsorganisation, die es gibt“. In fast allen Ländern der Welt produziere man vor Ort mit lokalen Rohstoffen. In Pakistan kaufe der Konzern Milch von 150‘000 Bauern. Das sei landwirtschaftliche Entwicklung, betont Decorvet – Nestlé habe kein Interesse daran, die Leute ärmer zu machen. „Die Regierungen und Bevölkerungen lieben uns, denn wir schaffen Arbeitsplätze und investieren ins Land.“ Die Vertreter von gewissen Nichtregierungsorganisationen hat er als unbelehrbar erlebt. „Wenn wir in einem Land die Landwirtschaft entwickeln, sind wir Böse. Wenn wir nichts machen, sind wir auch böse.“

Was ist Trinkwasser wert – ohne Preis?
In der Trinkwasser-Frage hält Roland Decorvet fest, dass jeder Mensch zu sauberem Trinkwasser Zugang haben sollte. Doch wie beim Wein gebe es auch beim Wasser verschiedene Qualitäten: „Wer etwas Spezielles haben möchte, soll dafür zahlen.“ Den Trinkwassermangel in der Dritten Welt findet auch der Nestlé-Direktor schlimm, doch die Schuld daran trügen die Regierungen. „Wir sind nicht für die Privatisierung von Wasser; das haben wir nie behauptet. Aber Wasser sollte für die Regierungen einen Preis haben.“ Der grösste Teil des in der Landwirtschaft eingesetzten Wassers versickere. Dort müsse die Beratung einsetzen.

Pfarrerssohn 

 
Pierre Bühler
Weist auf das Profitstreben von Nestlé hin: Der Zürcher Theologieprofessor Pierre Bühler.
Roland Decorvet hat mit der Familie seiner Frau in Madagaskar ein Waisenhaus aufgebaut. Sein Vater, Bruder, Grossvater, Schwiegervater und Urgrossvater waren oder sind Pfarrer. Der Kirchgänger ist nicht Pfarrer geworden, weil „Gott mit jedem ist, auch bei der Arbeit… Als Geschäftsmann kann ich genauso viel Gutes tun wie ein Arzt, ein Schreiner oder ein Metzger.“ Er sei bereit, zwölf Tage jährlich für das Heks einzusetzen. Nestlé wie das Hilfswerk hätten die gleichen Werte: sie wollten beide die Armut bekämpfen – einfach nicht mit denselben Mitteln.

Unverständnis und Empörung
Der Zürcher Theologieprofessor Pierre Bühler nimmt in einem Offenen Brief Decorvet (RP 46) wegen seines pauschalen Urteils über seine Kritiker aufs Korn. Er erwähnt das Profitstreben des Nestlé-Konzerns – von gleichen Zielen könne da nicht die Rede sein. Der Vergleich von Wasser mit Wein klinge ihm wie blanker Hohn in den Ohren. Gewinn mit der Privatisierung des Wassers (Nestlé) könne nicht angestrebt werden, wenn Wasser als öffentliches Gut verteidigt werde (Heks).

Wenn Decorvet seinen Konzern als die „beste Entwicklungsorganisation“ hinstelle, sei das eine Provokation, schreibt Pierre Bühler. Er wünscht sich von Decorvet mehr Problembewusstsein: „dass Ihnen gewisse Spannungen (in Nestlés Geschäften) durchaus Sorge machen“.

Quelle: Livenet / Reformierte Presse

Nestlés Spionage im Kampf ums Wasser

Nestlés Spionage im Kampf ums Wasser

Von Michael Meier. Aktualisiert am 18.11.2008 3 Kommentare

Im Spionagefall bei Attac lieferte Securitas Nestlé Material über den Wasser-Aktivisten Franklin Frederick. Mit Schweizer Hilfe kämpft der Brasilianer gegen die Privatisierung des Wassers.

Franklin Frederick: Der Wasser-Aktivist verursacht Kopfschmerzen in der Nestlé-Führung.

Franklin Frederick: Der Wasser-Aktivist verursacht Kopfschmerzen in der Nestlé-Führung. (Bild: Attac)

Im gerade angelaufenen Film «Quantum of Solace» kämpft James Bond gegen einen Bösewicht, der strategisch wichtige Wasserressourcen in Bolivien zu kontrollieren und zu privatisieren versucht. Ein hochaktueller Film, ganz nahe an der Realität.

Der Umweltschützer Franklin Frederick ist eine Art brasilianischer James Bond, der sich seit Jahren gegen die Privatisierung des Wassers engagiert, speziell gegen den Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé, der die Mineralquellen von São Lourenço im Bundesstaat Minas Gerais anzapfte, entmineralisierte und das Wasser in Flaschen unter dem Label «Pure Life» vermarktete. Jetzt ist publik geworden, dass Frederick eines der prominentesten Opfer des Spionageangriffs von Nestlé auf die globalisierungskritische Organisation Attac war. In den Jahren 2003 und 2004 hatte Securitas-Mitarbeiterin «Sara Meylan» eine Autorengruppe von Attac Waadt ausspioniert, die ein Nestlé-kritisches Buch verfasste. Die Ermittlungen im Verfahren gegen Securitas und Nestlé laufen.

Auch E-Mail-Verkehr überwacht?

Als Experte berät Frederick verschiedene Schweizer NGOs und hat auch der Buchautoren-Gruppe Informationen geliefert. Der Wasseraktivist, der zurzeit in der Schweiz weilt, ist überzeugt, dass die Spionin über ihn an Informationen über sein Wasserengagement in Brasilien herankommen wollte. Im 77-seitigen Spionageprotokoll, das Nestlé Schweiz einem Waadtländer Zivilgericht aushändigen musste, ist wiederholt von Fredericks Aktivitäten die Rede, namentlich von seinen Reisen in die Schweiz. Auch seine E-Mail-Adresse ist dort aufgeführt. Frederick möchte deshalb wissen, ob sein E-Mail-Verkehr überwacht worden ist und eventuell noch immer observiert wird.

Dank der Spionage wusste Nestlé etwa, dass Frederick Ende Januar 2004 am Open Forum in Davos teilnehmen würde. An jener Parallelveranstaltung zum WEF kündigte der damalige Nestlé-CEO Peter Brabeck überraschend an, er wolle die Fabrik bei den Quellen von São Lourenço schliessen und die Wasserpumpen abstellen. Auch Schweizer Zeitungen berichteten prominent darüber. Für Frederick war das rückblickend ein blosses Täuschungsmanöver. «Die Firma Nestlé wollte, dass man in der Schweiz keinen Druck mehr auf ihr brasilianisches Wassergeschäft ausübt.» In Wahrheit hatte Nestlé in jenen Tagen mit der Regierung von Minas Gerais ein Abkommen getroffen, um an den Quellen von São Lourenço bleiben zu können.

Erst 2006 zwang ein Gericht Nestlé, die Pumpen in São Lourenço abzustellen. Für Frederick ist damit der Fall nicht erledigt. Nestlé sei noch immer Besitzerin der Quellen, weshalb nicht ausgeschlossen sei, dass die Firma die Produktion unter anderem Label wieder aufnehmen könnte.

Beauftragt vom Ökumenischen Rat Christlicher Kirchen und der Bischofskonferenz Brasiliens, koordiniert Frederick das ökumenische Projekt «Wasser als Menschenrecht und als öffentliches Gut». Er beteiligte sich auch an der gleichnamigen Erklärung aus dem Jahr 2005. Darin erklären die brasilianischen Kirchen, gemeinsam mit dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund und der Schweizer Bischofskonferenz, alles zu tun, damit Wasser nicht privatisiert wird.

Exponenten der Kirche und von Entwicklungsorganisationen haben jetzt den Kirchenbund und die Bischofskonferenz brieflich aufgefordert, sich für Frederick einzusetzen und «bei der Firma Nestlé gegen die Überwachung öffentlich zu protestieren». Schliesslich sei der Autor der von ihnen unterzeichneten Wassererklärung zur Zielscheibe einer «Überwachungs- und Diffamierungskampagne» geworden. Das wiederum sei ein gängiges Mittel von Multis, um wichtige soziale Anliegen zu bekämpfen.

Nestlé-Chef giesst Öl ins Feuer

Doch der Kirchenbund ist befangen. Nicht nur zu Fredericks grosser Überraschung hat er an seiner Abgeordnetenversammlung im Juni ausgerechnet den Generaldirektor von Nestlé Schweiz, den Waadtländer Roland Decorvet, in den Stiftungsrat seines Hilfswerks Heks gewählt. Eingefädelt hatte die Wahl ein anderer Waadtländer, der liberale Nationalrat Claude Ruey, der den Heks-Stiftungsrat präsidiert. Die Proteste gegen die Wahl Decorvets sind bis heute nicht verstummt. Zumal der Pfarrerssohn gerade in einem Gespräch mit der «Reformierten Presse» Öl ins Feuer gegossen hat.

Im Interview macht der Nestlé-Schweiz-Chef Aussagen wie «Wir sind nicht für die Privatisierung von Wasser.» Oder: «Nestlé ist die beste Entwicklungsorganisation, die es gibt.» Des Weiteren warnt er die Kirchen, sich in die Politik einzumischen: «Ich bin allergisch auf politische Ratschläge aus kirchlichen Kreisen.» Auf die Kritik an seiner Wahl angesprochen, behauptet Decorvet: «Die Kritiker bestehen aus einer kleinen Gruppe von Kirchenleuten, die politisch extrem links sind und viel Lärm machen.»

Frederick ärgert sich über diese Abqualifizierung der Nestlé-Kritiker als Linksextreme, ist aber nicht überrascht von Decorvets Aussagen. Auch in Brasilien habe Nestlé immer wieder versucht, ihn und seine Helfer unglaubwürdig zu machen. Diese Kultur der Diffamierung passe ganz und gar nicht zur Dialogkultur der Kirchen. Womit Frederick auch den Interessenkonflikt anspricht, den der Kirchenbund mit der Wahl Decorvets in den Heks-Stiftungsrat heraufbeschworen hat.(Tages-Anzeiger)

dimanche 9 novembre 2008

Die zwei Gesichter des Herrn D

Die zwei Gesichter des Herrn D. in Beobachter

Text:
  • Otto Hostettler
Bild:
  • Alban Kakulya
  •  und Reto Oeschger
Ausgabe:
25/08

Seit Nestlé-Generaldirektor Roland Decorvet im Stiftungsrat des kirchlichen Hilfswerks Heks ist, gärt es an der Kirchenbasis. Denn Nestlé verfolgt Interessen, die das Heks klar ablehnt.

Die Wahl von Roland Decorvet in den Stiftungsrat des kirchlichen Hilfswerks Heks sorgt für Unmut. Denn Roland Decorvet ist nicht irgendwer. Er ist Generaldirektor des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé, der wiederum mit 280000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf der ganzen Welt in den ersten neun Monaten dieses Jahres 81,4 Milliarden Franken Umsatz verbuchte – 7,6 Milliarden Franken allein mit dem Verkauf von Wasser. Ganz anders die Interessen des Hilfswerks: Das Heks fordert den freien, kostenlosen Zugang zu Wasser als Menschenrecht.

Mehr noch: Der neue Stiftungsrat im kirchlichen Hilfswerk repräsentiert just jenen Konzern, der jahrelang und systematisch Arbeitsgruppen der Antiglobalisierungsorganisation Attac bespitzeln liess (siehe Artikel zum Thema «Überwachung: Wie die Securitas um sich greift»). Mindestens drei Maulwürfe unterwanderten die Attac. Sie interessierten sich nicht nur für das Buch über Nestlé, an dem eine Autorengruppe arbeitete, sondern auch für den brasilianischen Umweltschützer Franklin Frederick, der engen Kontakt zur Szene hat.

Hartnäckig kritisiert Franklin Frederick seit Jahren den Nahrungsmittelkonzern für sein Geschäft mit Trinkwasser in Brasilien. Immer wieder reist er in die Schweiz, trifft Umweltorganisationen und Hilfswerke, hält Vorträge bei Kirchgemeinden und hat dazu beigetragen, dass die Kirchen der Schweiz die sogenannte Wassererklärung unterzeichneten. Darin wird Wasser als öffentliches Gut bezeichnet, das jedem Menschen zusteht. 

«DAS KLINGT WIE BLANKER HOHN»

Ganz offensichtlich ist der umtriebige Umweltschützer aus Brasilien dem weltgrössten Wasserhändler ein Dorn im Auge. Dies geht aus den vertraulichen Berichten hervor, die die Securitas-Angestellte mit dem Pseudonym Sara Meylan dem Nestlé-Konzern ablieferte und die dem Beobachter in Auszügen vorliegen. Darin taucht immer wieder Fredericks Name auf.

Spitzelin Sara Meylan rapportierte fleissig, was Franklin Frederick über die aktuelle juristische Auseinandersetzung mit Nestlé in Brasilien berichtet. Die Spionin notiert, dass Frederick nun bei den Kirchen anklopfen wolle, wann welche Sitzung stattfindet et cetera. Dazu lieferte die Agentin auch gleich die E-Mail-Adresse des Umweltschützers für den Fall, dass sich Nestlé für dessen Korrespondenz interessieren sollte. Und sie vergisst nicht, ihre eigenen Auslagen zu notieren: eine warme Schokolade und ein Glas Eistee für total Fr. 6.80, fünf Franken Kollekte für die Saalmiete.

Das Hilfswerk, das sich Toleranz und Dialog auf die Fahne geschrieben hat, wird auffällig einsilbig jenen gegenüber, die unbequeme Fragen zum neuen Stiftungsrat stellen. Der Stiftungsratspräsident und liberale Nationalrat Claude Ruey lässt die Fragen des Beobachters unbeantwortet, stattdessen publiziert das Heks eine ellenlange Stellungnahme: Die Ausrichtung des Heks werde sich nicht ändern, heisst es etwa. Und: «Roland Decorvet ist als Privatperson in den Stiftungsrat gewählt worden und nicht als Vertreter seines Arbeitgebers.»

Decorvet hat zuvor die Diskussion über seine Person selber angeheizt: Er, dessen Familie seit fünf Generationen aus Pfarrern besteht, kanzelte gegenüber der Zeitung «Reformierte Presse» sowie dem Magazin des Heks die Kritiker als «politisch extrem links» und als «minorité négligeable» ab, also als vernachlässigbare Minderheit. Gleichzeitig behauptete der neue Heks-Stiftungsrat kühn: «Nestlé ist die beste Entwicklungsorganisation, die es gibt.»

Zur Privatisierung von Wasser sagte er lakonisch: «Jeder sollte Zugang zu sauberem Wasser haben. Aber Wasser ist für uns wie Wein. Es gibt trinkbaren Wein in verschiedensten Qualitäten und Geschmacksrichtungen. Wer etwas Spezielles haben möchte, soll dafür bezahlen.» Diese Aussage kann Pierre Bühler, Theologieprofessor an der Uni Zürich, nicht gelten lassen: «Der Vergleich des Trinkwassers mit Wein unterschiedlicher Qualität klingt wie blanker Hohn angesichts der Situation in der Südhemisphäre.» Bühler bezeichnet Decorvets Äusserungen über die «politisch extrem linken» Kritiker als «arrogantes Vorurteil» und als «Provokation».


DECORVET GIBT FEHLER ZU

Auch an der kirchlichen Basis ist das Unverständnis für den neuen Stiftungsrat gross. Pensionierte Pfarrer, frühere Heks-Mitarbeiter oder Entwicklungshelferinnen begehren auf. Einige kündigen an, ihre Spendentätigkeit für das Hilfswerk zu überdenken. Alle vom Beobachter kontaktierten Personen sagen das Gleiche: Eine Führungsfunktion bei Nestlé ist mit dem Amt als Stiftungsrat beim Heks nicht vereinbar. «Die beiden Rollen führen zu Konflikten», sagt die Berner Synodalrätin Pia Grossholz. Als Mitglied der bernischen Kirchenregierung berichtete sie letzte Woche im Kirchenparlament von 50 «bestürzten und entsetzten» Zuschriften, die sie erhalten habe. Zugleich verurteilte sie die Bespitzelung von Franklin Frederick.

Gegenüber dem Beobachter sagt Grossholz: «Ich besuchte 2006 eine Quelle von Nestlé in São Lourenço, Brasilien. Dort habe ich gesehen, wie sich der Konzern nicht an Gesetze hielt und der Natur schadete.» Und: «Die beiden Rollen von Roland Decorvet sind nicht kompatibel.»

Auf die breite Kritik will Decorvet nicht mehr reagieren. Stattdessen stellt sich das Hilfswerk demonstrativ hinter den neuen Stiftungsrat und lässt verlauten: «Decorvet hat an der letzten Stiftungsratssitzung erklärt, er habe einen Fehler begangen» und auf die Kritik «überreagiert». Zudem habe er «ausdrücklich bekräftigt», dass er sich beim Heks als Privatperson engagiere und keinerlei Mandat seines Arbeitgebers ausübe. Gern hätte sich der Beobachter von der Privatperson Decorvet einige Fragen zu seiner Doppelfunktion beantworten lassen. Doch die an ihn persönlich gerichtete Anfrage, die sein privates Engagement betrifft, wurde umgehend von seinem Arbeitgeber beantwortet. Die Nestlé-Pressestelle meldet kurz und bündig: «Alles ist schon gesagt worden betreffend Heks.»

http://www.beobachter.ch/arbeit/arbeitgeber/artikel/nestle_die-zwei-gesichter-des-herrn-d/